Wah, ich kann kaum gerade aus den Augen kucken. Die Gurke brütet, zusätzlich zur mehr als hartnäckigen Erkältung, vermutlich neue Zähne aus, was Schlafentzug, Schreien und Nicht-Essen-Wollen bedeutet. Ich habe gestern tatsächlich verzweifelt den ganzen Kinderproduktescheiß im Supermarkt gekauft, kleine, in Plastik verpackte Portionen püriertes Obst und ähnliches, weil ich keine Ahnung mehr habe, wie ich ihn zum Essen bewegen soll. Bei der letzten Kinderarztkontrolle hatte er abgenommen und das sollte bei nem gut 1-jährigen nicht passieren. Ich hab mir erst mal nichts weiter dabei gedacht, schließlich will er jetzt immer selbst essen, und da landet von den Mahlzeiten der Großteil nur auf Klamotten, Haaren und meiner hübsch gestrichenen Küchenwand anstatt in seinem Magen. Aber wenn sich das auch bei der nächsten Kontrolle nicht ändert - nehmen die uns dann das Kind weg oder was? Zwangsernährung? Mahlzeiten bedeuten hier zur Zeit nur noch möglichst viele Kalorien in die Gurke rein zu bekommen. Seinen Trinkbrei (Välling, ein schwedisches Original) mische ich nicht mehr mit Wasser, sondern mit nem Milch-Sahne-Gemisch an. Und ich hab leider auch nicht so viel Großmut wie Herr H., der nachts x-mal aufstehen kann, um neue Fläschchen mit Sahnebrei fertig zu machen. Es tut mir in der Tat ein bisschen weh, dass meine Milchbrüste nicht mehr das Allheilmittel sind.
Apropos Heilmittel. Kaum bin ich im schwedischen System gelandet, fangen sofort die Räder der Bürokratie zu rattern an. Am Montag hatte ich einen Brief im Briefkasten und ich dachte schon es sei die Benachrichtigung für meinen Ausweis. Nein - für mich wurde automatisch ein Termin beim Gynäkologen gebucht wegen eines Pap-Test zur Gebärmutterhalskrebsfrüherkennung (tolles Wort, das werd ich Herrn H. morgen mal sagen lassen. ^^). Ist es nicht großartig!? Kann ich mich hiermit als offiziell 'angekommen' betrachten?
Auch beim Arbeitsamt waren wir nun endlich und ich bin es wirklich leid ständig in diese verständnislos-leeren Gesichter zu kucken, deren Besitzer nicht so recht wissen, was sie mit mir anfangen sollen. Bei all diesen gigantösen bürokratischen Hürden frage ich mich immer, wie das denn ist, wenn man weder den Luxus eines privaten Übersetzers noch den der relativen Verwandtheit beider Sprachen hat. Was macht die Mutti aus dem Krisengebiet, die froh ist endlich aus der Gefahrenzone in ein sicheres Land zu kommen und nun hier sitzt vor ausnahmslos schwedischen Formularen und Menschen, die zwar immer vorgeben Englisch sei kein Problem, es aber im Ernstfall dann doch nicht so richtig können? Wobei die Krisengebietsmutti wohl auch eher selten Englisch spricht. Da hab ich es doch tatsächlich verdammt gut.
Als Buchbinder werd ich in diesem Land wohl keine Arbeit finden. Noch verständnisloser als in Deutschland werde ich angeglotzt: "Buchbinder? Was ist das denn?" Ja, genau. Ich hab die Bücher hier im Laden gesehen. Es überrascht mich nicht, dass hier keiner weiß was ein Buchbinder ist. Ich werde also auf meine anderen, zweifelhaften Qualifikationen zurückgreifen müssen. Barkeeping, Supermarkt. Wobei das Grundproblem ja bis auf weiteres die Sprache ist, und da fühl ich mich dann wieder wie der Durchschnitts-Mohammed: "Bitte irgendwas wo ich kein Schwedisch sprechen muss." Traumhaft.
Ich hab wirklich keine Ahnung wo meine Lebensreise hingehen soll. Man denkt immer, nach der Schule zieht man aus und dann beginnt das richtige Leben. Darauf warte ich bis heute. Ich bin nach der Schule in ein Kaff gezogen, hab mich bei der dortigen Lehre 2,5 Jahre psychisch fertig machen lassen, bin dann in eine dreckige Stadt gezogen, wo ich mich bei der Arbeit weitere 4 Jahre von meinen neuen Chefs fertig machen lassen hab. Am Wochenden hab ich in ner Disko gearbeitet, wo ich es meinem Gefühl nach auch irgendwie niemandem recht machen konnte. Ich habe früher immer zu den Klassenbesten gehört und jeder dachte wohl aus mir wird mal was ganz Tolles. Was hab ich seitdem erreicht? Ins von mir angestrebte Studium hab ich es nie geschafft, vermutlich weil ich nie den nötigen Biss hatte, um die fehlenden Prozent zum Künstlergenietum mit Hartnäckigkeit wett zu machen. Und nun sitz ich hier rum und hab keine Ahnung was ich mit den restlichen (optimistisch geschätzten) 50 Jahren meines Lebens anfangen soll. Ich könnte nie zum nem Klassentreffen gehen, ich würde mich ja in Grund und Boden schämen. Und NEIN, ich finde NICHT, dass es eine riesen Leistung ist ein Kind in die Welt zu setzen. Das schaffen Millionen Frauen Tag für Tag, auch nebenher zu Studium, Karriere etc, wenn sie wollen, und das muss, jedenfalls in meinem Nur-Mutti-Fall, nicht beklatscht werden. Mal ganz zu schweigen davon, dass ich mehrmals am Tag an den Punkt komme, wo ich in Gedanken meine Koffer packe und einfach gehe oder mich alternativ im novemberkalten Kattegat ertränke.
Worüber wollte ich heute ursprünglich schreiben? Puh, ich habs vergessen. Nach all dem nervigen Gesabbel habt ihr euchaber auf jeden Fall ein süßes Katzenfoto verdient:
Ein Katze! Nackig! Mit Halstuch! Hurrah!!!
(necktie generously sponsored by Minischwede)
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Erst einmal gute Besserung an den Minischweden (nicht zuletzt, weil dir das dann eine Portion Stress abnehmen würde).
AntwortenLöschenDie Schweden melden Frauen automatisch beim Frauenarzt an? Das ist lustig. So fürsorglich.
Ansonsten drücke ich dir ganz fest die Daumen, dass du bald etwas findest, wo du wahlweise kein schwedisch sprechen musst oder ganz schnell ganz viel schwedisch auf einmal lernst. Je nach dem.
Ohje, fühl dich mal gedrückt. Vielleicht solltest Du den Schweden mal zeigen wie man ein Buch richtig bindet, vielleicht gibt es da einen Markt für schöne handgebundene Bücher. :-)
AntwortenLöschenNaja, die anderen Mütter mit Studium und Karriere sind ja auch nicht du. Vielleicht hätten sie es als du auch nicht so hinbekommen. Davon ab kann man ja auch in Schweden studieren ;) Ich würde zusehen, dass ich so schnell wie möglich Schwedisch lerne. Mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln. Und dann drück ich dir die Daumen, dass du bald eine Arbeit findest.
AntwortenLöschenDu bist nicht allein.
AntwortenLöschenAuch ich sitz nach fast einem Jahr immer noch zuhaus rum, allerdings ohne Kind, dafür mit nem Ex-Burn-out.
Herzlichen Glückwunsch dazu.
Erzieherin mag ich nicht mehr, Frisörin darf ich nicht mehr, und die Modedesign-Ausbildung mit 374 Euro Grundsicherung zu stemmen ist auch irgendwie... unrealistisch.
Ach, wir kriegens schon hin,irgendwie...
Mein Freund sagte letztes Wochenende: "Guck nicht immer auf das, was du nicht geschafft hast...das kannst du nachholen. Guck auf das, WAS du geschafft hast!" Ok. Ich versuchs.
Alles Liebe nach Schweden!
*lila*
die aussage wird bei den eigentlichemn problemen kaum helfen, aber es ist super spannend zu lesen, mit was du dich da oben rumschlägst. und sag mal MUSST du zu diesem pappilomviren test? ist das pflicht da?
AntwortenLöschen*grusel*